Wie unterschiedlich Männer und Frauen auf Stress und vor allem Dauerstress reagieren, erklärt die Ärztin Afssaneh Hachemi, die sich in ihrer Praxis an der Hauptfeuerwache in München u.a. auf das Thema moderne Stressmedizin spezialisiert hat und seit über 10 Jahren die unterschiedlichen Auswirkungen von Stress bei Frauen und Männern beobachtet und behandelt.
Stress ist, was Dich stresst
Biologisch betrachtet ist Stress eine physiologische Reaktion des Körpers auf eine Herausforderung oder Bedrohung. Diese Reaktion wird durch die Freisetzung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin ausgelöst und führt zu Veränderungen im Körper, die darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit in einer stressigen Situation zu erhöhen („Kampf-oder-Flucht“-Reaktion). Stress ist zudem ein äußerst individuelles Erlebnis, das von verschiedensten Faktoren beeinflusst wird. Diese Individualität resultiert aus der einzigartigen Kombination von biologischen, psychologischen, sozialen und Umweltfaktoren, die das Leben eines jeden Menschen prägen. Und so könnte man auch sagen: „Stress ist, was Dich stresst!“
Stress & Gender – der kleine Unterschied in der Stressreaktion
Dazu Afssaneh Hachemi, Stressmedizinerin aus München: „Tatsächlich reagieren Frauen und Männer anders auf Stress: Sie reagieren neurophysiologisch und neuroimmunologisch stärker auf Belastungssituationen als Männer. Das heißt, das vegetative Nervensystem und das Immunsystem reagieren sensibler auf belastende Situationen. Oder vereinfacht gesprochen: Frauennerven liegen schneller blank und Frauenherzen reagieren sensibler. Frauen nehmen sich die Dinge einfach mehr zu Herzen. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass weibliche Herzmuskelzellen z.B. sechsmal stärker auf Stress reagieren als männliche. Es gibt somit deutliche geschlechterspezifische Unterschiede in Bezug auf Stressoren (was löst Stress aus) und in Bezug auf die Stressreaktion (wie reagiert man auf Stress).“
Studien konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass Männer tatsächlich einen biologischen Vorteil in Bezug auf Stressverarbeitung haben. Sie sind schlicht stressresilienter und reagieren meist nicht so unmittelbar auf Stress wie Frauen. Möglicherweise spielt hier das männliche Hormon Testosteron eine entscheidende Rolle.
Die Ärztin ergänzt: “Stress ist eine höchst individuell wahrgenommene Situation, mit individuellen Auswirkungen auf den Körper und seine Regulationsmechanismen. Darum ist Stressmedizin immer auch Individualmedizin, die sich explizit an den Bedürfnissen des oder der Einzelnen ausrichtet.“
Typische Stressreaktionen bei Männern:
- Kampf-oder-Flucht-Reaktion:
Ähnlich wie bei Frauen neigen Männer dazu, in stressigen Situationen eine „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion zu zeigen. Das bedeutet, dass der Körper sich auf eine schnelle physische Reaktion vorbereitet, um entweder mit der Stressquelle zu kämpfen oder von ihr zu fliehen. - Verstärkte Fokussierung auf Problemlösung:
Männer neigen dazu, sich vermehrt auf die Lösung von Problemen zu konzentrieren, wenn sie mit Stress konfrontiert sind. Dies kann dazu führen, dass sie analytische und praktische Ansätze zur Bewältigung von Stressoren bevorzugen. - Zurückhaltung bei Emotionsäußerungen:
In einigen Fällen zeigen Männer eine Neigung, ihre Emotionen bei Stress zurückzuhalten oder weniger offen darüber zu sprechen. Dies kann zu einem scheinbar stoischen Verhalten führen. - Soziale Rückzugstendenzen:
Einige Männer neigen dazu, sich bei Stress zurückzuziehen und weniger offen über ihre Gefühle zu kommunizieren. Dies kann zu einer gewissen sozialen Isolation führen.
Typische Stressreaktionen bei Frauen:
- Emotionale Reaktionen:
Frauen neigen dazu, stärker auf stressige Situationen mit emotionalen Reaktionen zu reagieren. Dies kann das Zeigen von Angst, Traurigkeit, Frustration oder Nervosität umfassen. - Soziale Unterstützung suchen:
Im Allgemeinen suchen Frauen bei Stress eher soziale Unterstützung. Der Austausch von Gedanken und Gefühlen mit Freunden, Familie oder Kollegen kann eine wichtige Bewältigungsstrategie sein. - Verstärkte Sorge um Beziehungen:
Frauen legen oft großen Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen, und stressige Situationen können zu verstärkter Sorge um die Beziehungen zu Partnern, Familie oder Freunden führen.
Wer sich die unterschiedlichen Reaktionen von Frauen und Männern in stressigen Situationen genauer betrachtet, der erkennt, dass, wenn zwei Partner beispielsweise beruflich stark belastet sind, auch privat der Stress schon vorprogrammiert ist. Denn während Frauen die soziale und emotionale Unterstützung ihres Partners suchen, befindet der sich womöglich längst im Rückzug und will über seine Gefühle nicht sprechen.
Wenn Stress zu emotionaler Belastung führt
Frauen empfinden stressige Situationen belastender, insbesondere emotionale Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich. Denn Frauen tendieren eher dazu, sich um andere zu kümmern. Als „Kümmerer“ besitzen sie von Natur aus mehr Fähigkeiten, die man unter emotionaler Intelligenz subsumieren könnte. Sie haben deswegen mehr Antennen für soziale Beziehungen und Dynamiken in Gruppen, und setzen eher auf Harmonie als auf Konfrontation. Dieses Verhalten hatte evolutionsbiologisch gesehen Vorteile für den Nachwuchs und dessen Überleben in der „Sippengemeinschaft“. In Sachen Stressresilienz wirkt sich diese Fähigkeit eher negativ aus.
Und so führen speziell Trennungssituationen, hohe Mehrfachbelastungen, Arbeitslosigkeit, Mobbing oder existenzielle Sorgen bei Frauen häufig zu verstärkten Stressreaktionen. Die Folge sind emotionale Reaktionen wie Angstreaktionen, Traurigkeit oder Verzweiflung, ja sogar Depressionen, die sich in körperliche Entzündungsreaktionen übersetzen.
Stress & hormonelle Schwankungen
Dabei spielen vor allem auch die Sexualhormone der Frau im Laufe ihres Lebens eine entscheidende Rolle. Gerade in den Lebensphasen mit besonders umwälzenden hormonellen Schwankungen wie Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahren können Stressreaktionen viel ausgeprägter sein, als bei Jungs und Männern in diesen jeweiligen Altersgruppen. Vor allem alleinerziehende Mütter haben das höchste Risiko, Herz-Kreislauferkrankungen zu erleiden.
„Wussten Sie, dass das Risiko für einen Herzinfarkt von Frauen bei negativem Stress im Job bei 40-69% liegt bei belastendem Stress in der Partnerschaft oder in Familienbeziehungen sich verfünffacht also um 300% (!!) ansteigt?“
In dem Buch „Herzsprechstunde“ – von Frau Prof. Dr. med. Sandra Eifert und Frau Dr. med. Suzann Kirschner-Bronus, wird sehr ausführlich beschrieben, warum Frauenherzen auf Stress so anders reagieren als Männerherzen. Frauen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, geben viel häufiger an, dass emotionale Belastungen dem Herzinfarkt vorausgingen. Männer hingegen beziehen sich viel häufiger auf vorangegangene, körperliche Belastungen als Auslöser für ihre Herzprobleme.
Die 10 häufigsten körperlichen Auswirkungen von Dauerstress
Dauerhafter Stress ist höchst ungesund und kann eine Vielzahl negativer körperlicher Auswirkungen haben, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen auftreten. Hier sind 10 der häufigsten körperlichen Auswirkungen von langanhaltendem Stress:
Wie Stressmedizin helfen kann
Dazu die Münchner Ärztin Afssaneh Hachemi: „In der Stressmedizin vereinen wir verschiedene medizinische Disziplinen wie Psychologie, Neurologie, Endokrinologie, Kardiologie und Immunologie, um ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen von Stress auf den menschlichen Körper zu erlangen. Ziel ist es, für unsere Patienten und Patientinnen wirksame Strategien zur Prävention, Linderung und Bewältigung von stressbedingten Gesundheitsproblemen zu entwickeln.“
In den letzten Jahrzehnten hat die Stressmedizin enorme Fortschritte gemacht, um Menschen dabei zu helfen, mit Stress besser umzugehen.
Hier sind einige rein medizinische Aspekte, die dabei eine Rolle spielen:
- Vitalstoff-Ergänzungen:
Durch Stress steigt auch der Verbrauch u.a. an lebenswichtigen Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen im Körper. Supplements sind natürliche Substanzen, die helfen können, dem Körper diese fehlenden Vitalstoffe wieder zuzuführen und seine Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber Stress zu stärken. In der Stressmedizin kommen dazu häufig hochdosierte Vitalstoff-Infusionen zum Einsatz, um die benötigten Substanzen ohne Umwege sowie unter Umgehung des Verdauungstraktes dem Körper hochwirkungsvoll zuzuführen.
. - Atmen & Achtsamkeit:
Bestimmte Atmen-Techniken können wundervoll dazu beitragen, die Stressverarbeitung zu unterstützen. Hierbei kommen vor allem Meditation und MBSR sehr erfolgreich zur Anwendung. Das Training wurde von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn unter dem Namen „Mindfulness-Based-Stress-Reduction“ entwickelt und ist daher auch unter der Abkürzung „MBSR“ bekannt.
Auch das Erlernen und Durchführen von bestimmten Atemübungen (nach Dr.Buteyko, „Deep Breathing“ oder Atmen 4-7-8) stärkt den Entspannungsnerven des Körpers – den Vagus-Nerven.
. - Ausgleich von Dysbalancen im Hormonsystem:
Die moderne Stressmedizin leistet gezielte Interventionen im Hormonsystem, um die Auswirkungen von chronischem Stress zu mildern. Hierbei können z.B. Bioidentische Hormone eingesetzt werden, um die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol zu modulieren.>> Mehr dazu - Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Therapie (IHHT):
IHHT ist eine medizinische Intervention, bei der Patienten abwechselnd Sauerstoff mit niedrigem und hohem Druck ausgesetzt werden. Diese Therapie hat das Potenzial, den Stressabbau und die Belastbarkeit des Körpers zu verbessern.>> Mehr dazu - Entzündungshemmende Therapie:
Chronischer Stress kann zu einem erhöhten Entzündungsniveau im Körper führen. Entzündungshemmende Therapieansätze, einschließlich entsprechender Ernährungsempfehlungen wie Ketogene Ernährung, sind darauf ausgerichtet, die negativen Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem zu minimieren. - Schlafmedizinische Interventionen:
Diese und Verhaltensäderungen können in der modernen Stressmedizin die Schlafqualität wieder deutlich verbessern.
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